Bernhard, Elisabeth und Hermann Wermelt
Die Benediktinerabtei Gerleve
Gründung
Es ist beachtenswert, dass die neue Ansiedlung der Mönche des heiligen Benedikt im Münsterland nicht das Ergebnis auswärtiger Planung war. Die Voraussetzungen unseres Klosters liegen in der
Glaubens- und Opferkraft des Landes selbst, in der Frömmigkeit und in den Bemühungen der Bauernfamilie Wermelt. Unmittelbar konnte hier nicht an eine frühere Tradition angeknüpft werden; ein völlig neuer Anfang wurde gesetzt. Die
von Beuron entsandten Mönche nahmen aber bald wahr, welche günstigen Voraussetzungen sich in diesem Land für das beabsichtigte Werk boten. Spuren aus der frühen Geschichte, wie Orts- und Flurnamen, lassen erkennen, dass bis um
das Jahr 500 vor Christus hier ein keltischer Volksstamm siedelte, der später von den Germanen nach Süden und Westen abgedrängt wurde. Von der Weser her folgten die germanischen Brukterer. Sie liebten einen freien Raum um ihre
Wohnstatt; so lagen ihre Siedlungen verstreut im Lande. An diese frühe Zeit scheint der Bauernschaftsname »Gerleve« zu erinnern. »Ger« weist auf den »Ger«-träger hin, den altgermanischen Gott Odin oder Bö-Odin; die Silbe »Leve«
bedeutet Erbe oder Siedlung (vgl. Ortsnamen wie Eisleben, Aschersleben). Auf den Namen des Germanengottes Bö-Odin geht auch die Bezeichnung »Baumberge« zurück sowie der »Bonenjägerstein«, ein großer Findling auf Gerlever Gebiet aus
der Eiszeit, der leider im vergangenen Jahrhundert gesprengt und zum Straßenbau benutzt wurde. Heimatfreunde kennzeichneten die Stelle durch ein kleines Denkmal mit der Aufschrift: Hier stand der Bonenjägerstein, auf dem man einst
dem Wodan Opfer brachte. Die große Zahl von Familien- und Flurnamen dieser Gegend, die sich von germanischen Götternamen herleiten, deuten auf kultische Mittelpunkte unserer Vorfahren hin. Als Apostel der Botschaft Christi im
Münsterland wird der heilige Liudger gerade in unserer engeren Heimat hoch verehrt. Nach den Vorarbeiten des Abtes Bernrad übernahm der Friese Liudger im Auftrag Karls des Großen seit 792 die Leitung dieses Missionsgebietes. Der
»Sünt-Lüers-Weg« (Sankt-Liudgers-Weg), ein Weg auf Gerlever Grund, den der Heilige am Tage vor seinem Tod von Coesfeld nach Billerbeck nahm, ist bis heute unvergessen. Gerleve hat die Stätte auf der Höhe in Ehren gehalten, wo der
Heilige nach der Überlieferung am letzten Tag seines Lebens auf dem Weg von Coesfeld nach Billerbeck Rast machte: die Ludgerirast. Im nahen Billerbeck wird die Stätte seines Todes (26. März 809) verehrt. Aus dem 11.
Jahrhundert liegt eine Urkunde vor, die von 30 Höfen in dieser Gegend, also von einer Bauernschaft, spricht. Es ist möglich, dass zu diesen Höfen auch der Wermeltsche Hof gehörte. Die Inschriften auf den Torbalken der verschiedenen
Hofgebäude führen uns allerdings nur bis in das Jahr 1700 zurück, als ein Heinrich Wermelt hier wohnte. Der Hof war abgabenpflichtig und wurde erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts frei. Der erste uns bekannte freie Bauer auf dem
Hof Wermelt war Johann Bernhard Wermelt, dem seine Frau Anna Maria, geb. Schulze Lutum, zehn Kinder schenkte. Von diesen lebten im Jahre 1898 noch drei: die Geschwister Bernhard, Elisabeth und Hermann, die gemeinsam den elterlichen
Hof bewirtschafteten. Sie waren wegen ihres geraden Sinnes, ihrer Frömmigkeit, ihres Fleißes und ihrer Wohltätigkeit sehr geachtet und beliebt. Im Obergeschoß des Hauses hatten sie einen gottesdienstlichen Raum eingerichtet, in dem
sie an Sonn- und Feiertagen regelmäßig Nachmittagsandachten hielten, und in dem sogar ein Kreuzweg errichtet war. Die Geschwister besuchten häufig das eineinhalb Stunden entfernte Redemptoristenkloster Maria Hamicolt (gegr. 1856);
nach der Vertreibung dieser Ordensleute im Kulturkampf brachten sie ein- oder zweimal im Jahr ihr Almosen mit dem Wagen zu deren holländischem Asyl. Nach dem frühen Tod eines zum Erben vorgesehenen Neffen reifte bei den drei
Geschwistern der Plan, ihr Besitztum für die Gründung eines Klosters Gott zu schenken. Zugleich hofften sie, damit den umwohnenden Bauern zu dienen, die zum sonntäglichen Gottesdienst die weiten Wege nach Billerbeck, Coesfeld,
Darup oder Rorup zurücklegen mussten. Vergeblich fragten sie bei den Redemptoristen und Steyler Missionaren an, denen der Hof aber zu abgelegen vom Verkehr erschien. Kapuziner und Dominikaner erklärten, dass sie zur Zeit an einer
Neugründung nicht interessiert seien. Dann wandten sich die Geschwister Wermelt an die Benediktiner von Beuron. Auch diese lehnten zunächst eine Klostergründung im Münsterland ab. Aber anlässlich der feierlichen Einweihung des
Ludgerusdomes zu Billerbeck am 26. Mai 1898 übernahmen Abt Willibrord Benzler von Maria Laach (der spätere Bischof von Metz) und Frater Ludger Rincklake, der Erbauer des Ludgerusdomes, im Auftrag des Beuroner Erzabtes Placidus
Woher die Aufgabe, das Angebot der Geschwister Wermelt an Ort und Stelle zu prüfen. Die folgenden Entscheidungen fielen positiv aus. So kommt es, dass man in Gerleve von Anfang an davon spricht, man sehe die Klostergründung als
eine späte Frucht des Segens an, den der heilige Glaubensbote Liudger diesem Land hinterlassen hat. Zunächst dachte man auch daran, den heiligen Liudger als Patron des neuen Klosters zu wählen. Aber wegen des nahen Ludgerusdomes in
Billerbeck sah man davon ab. Dann dachte man an den »Apostel Deutschlands« Bonifatius. Doch schließlich respektierte man den Wunsch der Stifter Wermelt, die den heiligen Joseph als Patron des neuen Klosters wünschten. Nachdem
die preußische Regierung die Erlaubnis zur Klostergründung in Gerleve erteilt hatte, wurden im Frühjahr und Sommer 1899 die Vorbereitungen für den Einzug der Mönche getroffen: Das Bauernhaus Wermelt wurde umgebaut, eine kleine
Kapelle errichtet und für die Stifter ein neues Wohnhaus erstellt. Am 19. September 1899 zogen die ersten Mönche aus Beuron in das Bauernhaus ein, das für mehrere Jahre als Kloster dienen sollte. Von den Priestern der umliegenden
Gemeinden und von der gesamten Bevölkerung wurden sie mit großer Freude aufgenommen. Zwei Jahre später, am 7. Juli 1901, wurde durch den Weihbischof von Münster, Maximilian Gereon Graf von Galen, der Grundstein zur Abteikirche
gelegt. Im Oktober 1903 waren die Türme vollendet. Am 6. Juni 1904, wenige Tage vor Eröffnung der Abtei, wurden sechs gestiftete Glocken gesegnet. Am 8. Juni 1904 trug der erste Prior von Gerleve, P. Chrysostomus Stelzer, das
Gründungskreuz in das neue Kloster des heiligen Joseph, das unter dem Datum des 13. Mai 1904 zur Abtei erhoben worden war. Am 10. Juni 1904 fand die Benediktion der Abteikirche durch Weihbischof Maximilian Gereon von Galen
statt. Das monastische Leben im neuen Kloster wurde mit einem feierlichen Hochamt eröffnet. Es war der Festtag des Heiligsten Herzens Jesu.
Auszug aus ‚Die Benediktinerabtei Gerleve’ Aschendorff Münster Grabplatten der Stifter in der Abteikirche |